Biography Das Kondensat


Das Kondensat
Ein Kondensat entsteht beim Übergang eines Stoffes in einen anderen. Dieser sehr komplexe Prozess gibt Energie an die Umgebung ab. Er ist grundlegend für natürliche Kreisläufe und unseren Wärmehaushalt. Das alles entzieht sich der eindimensionalen Vorhersagbarkeit. Es geht ums Eindampfen, Komprimieren und Verdichten.

Lauter Vokabeln, die den Bandnamen des Trios von Gebhard Ullmann, Oliver Potratz und Eric Schaefer rechtfertigen und diese wahrlich neue Musik beschreiben. Sieben Jahre hat diese Musikerkooperative Gleichberechtigter an ihrem Konzept gearbeitet. Was man nun hört, ist also alles andere als ein Schnellschuss oder eine Gelegenheitsgeschichte. Es ist ein ausführlich erdachter und dann voller Spontanität realisierter Gang durch absolutes Neuland. Entstanden ist eine sinnliche elektroakustische Improvisationsgeschichte in elf Kapiteln. Herausfinden zu wollen, wie man mit Samples, Loops, Effektgeräten und diverser Liveelektronik improvisieren kann, lag in der Luft. Geräte suchen, digitale Techniken begreifen, Programme schreiben und dann die Kopfgeburten in eine vitale Feier des Moments überführen, an die Grenzen gehen und sie überschreiten mit Geräten, die eigentlich nicht fürs freie Spiel gemacht sind.

Analoges und Digitales fusionieren, die Erfahrungen aus den Feldern des Jazz mit den neuen Technologien kombinieren, Übergänge von einem ins andere kreieren und dabei den Hörer nicht vergessen, sondern vielmehr die freigesetzten Energien auf ihn übertragen. Es ist höchste Zeit. Direkte Vergleichsgrößen fehlen weitgehend für diese losgehende und Spaß machende Musik. Doch das macht die Angelegenheit umso spannender. Allenfalls irrlichtern Pioniere der Rock-, World- und Jazzavantgarde durch diese unverbrauchten Klänge, die auf unsere schöne neue Welt reagieren: Fred Frith und Henry Cow, Softmachine, Can, Jon Hassell … Aber das war eine andere Zeit.

Das Kondensat springt ab aus dem Museum in ein Jetzt jenseits diverser orthodoxer Lehren. Jazz ist das auch, aber nur unter anderem. Neugier ist die Gier nach Neuem. Darum geht es hier mit mal rockig-punchigem, mal melodiös-balladeskem Zugriff, generiert mit neuen Medien in neuen Kontexten. Das hat nichts garagenhaft Dilettantisches, sondern ergibt ein aus langjähriger Kontinuität gewachsenes Triospiel, das sich erweiterter Mittel bedient. Tastend suchende Improvisationen stehen neben straighten, runden Kompositionen. „Lady In The Sky“ zum Beispiel wäre in einer gerechten Welt ein Hit. Diese diskursive Trialogmusik entwickelt ihre ganz eigene Dynamik. Das Trio-Format hat eine lange Geschichte, weil es enorme Räume bietet, die nicht zugestellt sind. Ullmann, Potratz und Schaefer beherrschen dieses hier unabdingbare Agieren und Reagieren, dieses Lenken und Sich-lenken-Lassen vom anderen, dieses Ausformulieren einer gemeinsamen Vision im Offenen.

Gebhard Ullmann hat jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit modifizierten Klängen, mit denen er hier seine Sopran- und Tenorsaxofone mal durchs Dickicht schlängelt, mal im luftigen Raum emporschweben lässt, dann wieder zupackend auf den Punkt bringt. In seinem 60. Lebensjahr markieren die Aufnahmen etwas sehr Besonderes in seiner mehr als 50 Tonträger umfassenden Discografie, sind klischeefreie Rückbesinnung und Aufbruch gleichermaßen. Der E-Bass von Oliver Potratz kann dunkel dräuen und markant grundieren oder zu wunderbaren Linien abheben. Mal mächtig und mal filigran gießt er ein Fundament. Eric Schaefers Drumming als druckvoll, dringlich und dynamisch zu beschreiben wäre eine Untertreibung. Mit eigenen Bands oder in den Trios von Michael Wollny, Joachim Kühn, Kalle Kalima und Arne Jansen hat er sich in die erste Reihe europäischer Schlagzeuger getrommelt. Auch hier ist er treibende Kraft und Ziseleur in Personalunion. In der Summe ergibt das eine Berliner Band der Superlative und ist doch mehr als die Addition ihrer Teile. Es ist ein nachdrückliches Signal dafür, wie die Geschichte weitergehen könnte.



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