Czech Philharmonic & Jiří Bělohlávek - Smetana: Má Vlast

Review Czech Philharmonic & Jiří Bělohlávek - Smetana: Má Vlast

Die 1901 erstmals als unabhängiges Ensemble konzertierend aufgetretene Tschechische Philharmonie gehört heutzutage zu den ganz wenigen europäischen Orchestern, die anstelle des zunehmend gleichgeschalteten „internationalen“ Orchesterklangideals einen eigenständigen Klang produzieren und pflegen. „Wie ein Märchen aus den alten Tagen“ betitelt der Tagesspiegel die Rezension eines Berliner Konzerts der Tschechen im Jahr 2013 und meint damit den spezifischen Klang des Orchesters. Weiter heißt es dazu: „Prag bei Nacht? Da tauchen vor dem inneren Auge sofort barocke Fassaden auf, enge Gassen, getaucht in gelbliches Laternenlicht. Genau so hört sich die Tschechische Philharmonie an: sehr dicht der Streichersound, dazu völlig kantenlos, kompakt auch die Bläser. Die Musiker spielen mit Emotion und Emphase, dennoch bleiben selbst Akkorde in voller Orchesterstärke erstaunlich weich.“ Soweit die historische Klangqualität ein Urteil über den Sound der Tschechischen Philharmonie anlässlich der Life-Aufzeichnung von Smetanas „Má Vlast“ („Mein Vaterland“) im Jahr 1939 unter ihrem damaligen langjährigen Chef Vàclav Talich zulässt, trifft bereits damals die klangliche Beschreibung des Tagesspiegels auf das Orchester zu. Ein zweites Mal hat das tschechische Traditionsorchester den Vaterlandszyklus mit Karel Ančerl, der Schüler Talichs und von 1950 bis 1968 Orchesterleiter war 1963 aufgenommen. Beide Aufnahmen von „Má Vlast“, diejenige mit Vàclav Talich ebenso wie diejenige mit Karel Ančerl definieren bei aller Unterschiedlichkeit ein Optimum der Interpretation dieses Werks Smetanas dar, mit dem der Komponist seine Heimat in Gestalt programmatischer Landschafts-, folkloristischer und historischer Tableaus huldigt. Die Ausnahmestellung dieser beiden Aufnahmen wird offensichtlich, wenn man sie mit den Aufnahmen jüngerer Orchesterchefs in der Talich- und Ančerl-Nachfolge vergleicht: derart idiomatisch wie bei den beiden Altmeistern hat „Má Vlast“ nie mehr gelungen. Das gilt selbst für die Aufnahmetechnik, die im Falle Ančerls dank eines genialen Aufnahmeteams einen einsamen Höhepunkt erreicht hatte. Dieses Urteil bezieht sich auf die ursprüngliche LP-Version, nicht jedoch auf die später erschienene CD der Serie Ančerl Gold Edition, die leider ein trauriges Beispiel dafür ist, wie eine analoge Aufnahme beim Digitalisieren (im Jahr 2002) durch unqualifizierte Nachbearbeitung vermurkst werden kann.

Klangliche Inkompetenz kann man der Aufnahme der Tschechischen Philharmonie von „Má Vlast“ unter seinem Mitte 2017mit 71 Jahren verstorbenen letzten Chef, dem Celibidache-Schüler Jiří Bělohlávek nicht vorwerfen. Im Gegenteil. Gegen die klangliche Opulenz dieser in Arte TV immer wieder einmal im Videoformat auftauchenden Aufnahme aus dem Jahr 2014, die die den eigenständigen „böhmischen“ Sound des Orchesters in voller Transparenz ausleuchtet, macht die Ančerl-Aufnahme keinen Stich. Und die Interpretation? Diese ist den Vorgängeraufnahmen früherer Chefs der Tschechischen Philharmonie überlegen, reicht an die Stringenz der Referenzaufnahmen durch Talich und Ančerl jedoch nicht heran. Am stärksten überzeugen Šárka und Tábor, die mit angemessener Intensität und opernhaftem Aplomb realisiert werden. Am klangschönsten ist Vltava (Die Moldau) realisiert. Wer allerdings noch die historische Plattenaufnahmeaufnahme mit Ference Fricsay zusammen mit dessen Probe der Moldau mit dem damaligen Südfunkorchester im Ohr hat, wird die starke interne Spannung und die strukturell mitreißende Erzählweise des Ungarn vermissen. Allerdings ist dieser Vergleich insofern ungerecht, weil weder Talich noch Ančerl in Sachen Interpretation der Moldau Ference Fricsay zu toppen vermögen.

Die übermächtige Konkurrenz durch historische Interpretationen von „Má Vlast“ soll nicht überdecken, dass dieses Album nicht nur klanglich seine Meriten hat, sondern mit der Spielfreude und dem eigenständigen Klang des tschechischen Eliteorchesters überzeugt.

Czech Philharmonic Orchestra
Jirí Belohlávek, Dirigent

Czech Philharmonic & Jiří Bělohlávek - Smetana: Má Vlast

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