Tomasz Stanko New York Quartet - December Avenue

Review Tomasz Stanko New York Quartet - December Avenue

Das fantastische Schwarzweiß-Coverfoto einer New Yorker Winterszene auf dem Booklet von December Avenue mit gefühlt unmittelbar bevorstehendem Schneefall versetzt einen genau in die Stimmung, mit der das erste Stück „Cloud“ des ECM-Albums mit langgezogenen, kühl anmutenden Trompetenrufen, und erratisch dahintaumelnden Klavierakkorden, vom Schlagzeug zögerlich rhythmisch zusammengehalten seinen Anfang nimmt, bevor es von der Trompete angeführt kurz unvermittelt Fahrt aufnimmt, um in den Habitus eines Kondukts zurückzufallen und wenige Atemzüge später zu verklingen. Soll uns das gerade einmal vier Minuten dauernde erste Stück des Albums in eine grundsätzlich in sämtlichen Stücken vorherrschende graue Stimmungslage versetzen? Nicht durchgehend. Mit dem halb so langen, mit zwei Minuten extrem kurzen zweiten Stück „Conclusion“ heitert sich die Stimmung bei angezogenem Tempo um einige Grade auf, ohne jedoch die zutiefst melancholische Grundstimmung von „Cloud“ restlos hinter sich zu lassen, die impressionistisch abgetönt auch in „Blue Cloud“ mit längeren Soli von Klavier, Trompete und Kontrabass und raffiniert verschränktem Zusammenspiel, mehrfach zugunsten hellerer Stimmung unterbrochen vorherrscht. „Bright Moon“ verspricht ja nicht gerade heiter Sonnenschein, jedoch weniger dunkle Wolken am Horizont. Und tatsächlich versetzt ungetrübter Mondschein das Tomasz Stanko New York Quartet in eine deutlich lebensbejahendere Stimmung, die ihren Höhepunkt kurz vor Ende des Stücks in einem vom Pianisten vollzogenen Fortissimo-Cluster manifestiert.

Um den Eindruck zu vermeiden, dieses Album transportiere Langeweile: Dem ist definitiv nicht so. Dafür sind die musikalischen Einfälle auf December Avenue einfach zu gut und selbst dann perfekt erzählt und stets in eine hörenswerte Story zusammengeführt, wenn die melancholische Grundstimmung auch mitunter nahe dran ist, in Tristesse zu kippen. Bereits die All-Starr-Besetzung des New Yorker Quartetts des Polen von Tomasz Stanko, der im Laufe seines Musikerdaseins bislang bereits mit David Virelle, Piano, Reuben Rogers, Kontrabass und, Gerald Cleaver, Schlagzeug garantiert höchstes Niveau der Ausführung und fantasievolle Improvisationen mitten aus der Welt des Free Jazz. Langeweile gehört einfach nicht zum Repertoire dieser Klasse von Jazzmusikern. Eher schon eine Gewöhnung an deren höchst individuelle Klangsprache. Hat man sich in diese eingehört und wie im vorliegenden Fall an die bis zum Ende des Albums herrschende melancholische Grundstimmung der insgesamt zwölf Stücke gewöhnt, sind dem Genuss dieses Downloads keine Grenzen gesetzt. Übrigens versetzt einen das rhythmisch überaus lebendige vorletzte Stücke „Yankiels Lid“ unerwartet in eine geradezu fröhliche Stimmung, so dass man dem letzten Stück mit stillem Lächeln auf den Lippen entgegensieht. Allerdings manifestiert sich „Young Girl in Flower“ dann eher als auskomponierter Abschiedsschmerz.

Apropos Aufnahme: im vorliegenden Fall zeichnet ECM nicht selbst für die hervorragende Aufnahmetechnik verantwortlich, sondern das im provenzalischen Pernes-les-Fontaines unweit Avignon im traumhaft schönen Land des Flüsschens Sorgue unweit dem glatzköpfigen Mont Ventoux gelegene „Studio La Buisonne“. Interessant wäre es zu erfahren, wie es das Tomasz Stanko New York Quartet geschafft hat, die die Stimmungslage dieses Albums visuell so treffend wiedergebende kühle Stimmung der New Yorker Winterszene auf dem schwarzweißen Coverfoto in der in der Regel überaus sonnigen und lebensfrohen Provence zu realisieren.

Tomasz Stanko, Trompete
David Virelles, Klavier
Reuben Rogers, Kontrabass
Gerald Cleaver, Schlagzeug

Tomasz Stanko New York Quartet - December Avenue

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